Dokumentation, Deutschland 2023
Die Konstruktionstechnik dieses Monumentalbaus war so neu und für die Bauarbeiter derartig beängstigend, dass sie sich weigerten, die Verschalung der mächtigen Betonpfeiler zu entfernen. Sie fürchteten, die Riesenkuppel würde in sich zusammenbrechen. Der Architekt musste einen Passanten dazu überreden, ihm beim Entfernen der Verschalung des ersten Pfeilers behilflich zu sein. Man schrieb das Jahr 1913, der Architekt hieß Max Berg, das Bauwerk: Die "Jahrhunderthalle" in Breslau. Ganz unverständlich war die Befürchtung der Arbeiter nicht. Das Bauwerk war zu damaliger Zeit Beton gewordener Wagemut - viermal hatten Statiker die Berechnungen überprüft. Die Spannweite der aus 32 Gewölberippen gebildeten Kuppel beträgt 65 Meter, fast das Doppelte des Pantheons in Rom. Die Jahrhunderthalle wirkt wie ein weltlicher Tempelbau, monumental und mystisch zugleich, jedoch sachlich und nüchtern. Zwar bedient sich der Architekt einer beinahe sakralen Formsprache, doch diese Kuppel überwölbt kein Heiligtum, sondern umspannt die Leere, die je nach Bedarf für andere Zwecke genutzt werden kann. Errichtet wurde der weltgrößte Kuppelbau aus Stahlbeton als Ausstellungs- und Festhalle zur Hundertjahrfeier der Befreiung von der napoleonischen Herrschaft. Dass hier später auch unheilvolle Veranstaltungen abgehalten wurden, konnte der Architekt nicht vorhersehen. Nicht nur Wirtschaftsausstellungen, Sängerfeste, Boxkämpfe und andere sportliche und kulturelle Aufführungen sollten in der Jahrhunderthalle stattfinden. Die Nazis nutzten den monumentalen Raum für über 6000 Menschen als Bühne für politische Großveranstaltungen. Als Breslau im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde, hat das Bauwerk dies fast unbeschadet überstanden - ein Glücksfall der Architekturgeschichte. Das eigentlich Revolutionäre dieses heute als WEeterbe von der UNESCO ausgezeichneten Bauwerks ist nicht nur der frühe Einsatz von Beton, sondern auch, dass der Architekt jedes Dekorationselement verweigerte. Die Konstruktion bestimmt die Ästhetik. Ohne das Material zu "beschönigen" stellte Berg die damaligen Vorstellungen von einem repräsentativen Raum auf den Kopf und schuf einen Meilenstein der modernen Architektur. Das Bauwerk sollte nach der Vorstellung seines Schöpfers: 'noch nach Jahrhunderten Zeugnis von der Kultur unserer Zeit ablegen'. Ein Jahrhundert ist jetzt beinahe erreicht. Die "Jahrhunderthalle" im heute polnischen Wroslaw wird "Hala Ludowa" - "Volkshalle" - genannt. Doch wie der Name des gewaltigen Mehrzweckbaus auch lautet, er hat nichts von seiner zukunftweisenden Kühnheit eingebüßt. Auch nach einem Jahrhundert technischen Fortschritts wirkt er nicht veraltet, wenn auch an manchen Stellen renovierungsbedürftig.
Andere Personen | Autor: Christian Romanowski, Kontakt: |