Land und Leute, Deutschland 2013
Winter auf der Hallig Langeneß. Es ist kalt und nass, der Wind pfeift über die Wiesen. Unwirtlich, sollte man meinen. Doch die meisten der knapp einhundert Bewohner genießen die Weihnachtszeit weit draußen im Wattenmeer - so wie Honke Johannsen. Zum Jahresende kann der Landwirt einen Gang runter schalten. Die Kühe stehen im Stall, viel Arbeit gibt's da nicht. So kann er sich um seine Familie, um Haus und Hof kümmern.
Heile Welt, so scheint es auf den ersten Blick. Doch Langeneß, die größte der zehn Halligen im nordfriesischen Wattenmeer, kämpft mit typischen Problemen: der letzte Kaufladen hat vor Jahren geschlossen, eine Kneipe gibt es nicht, Treffpunkte zum gemeinsamen Schnack sind Mangelware und dann fällt auch noch das Telefon aus. Wegen der vielen Landunter ist das zentrale Telefonkabel porös geworden. Bis die Leitung wieder steht, vergehen Wochen. Auch für Malte Karau, Besitzer des einzigen Hotels auf der Hallig, ist es ein Problem, zu Silvester nicht erreichbar zu sein für seine Gäste. Immerhin ist die ärztliche Versorgung auf Langeneß seit einiger Zeit sichergestellt: ein Arzt kommt alle zwei Wochen von der Insel Föhr durchs vereiste Watt rüber auf die Hallig.
Frerk Johannsen wollte nie woanders leben als auf Langeneß. Doch wenn der nächtliche Sturm wieder einmal seine Weihnachtsbäume zerzaust hat und die Lichterketten daneben hängen, dann schimpft er auf die Nordsee. Der Senior ist ihr in "tiefer Hassliebe verbunden", wie er versichert und ganz klar: "ohne das Meer kann ich nicht einen Tag leben". Dabei erinnert sich der Rentner allzu gut daran, wie er als Kind 1962 die große Sturmflut nur mit knapper Not überlebt hat.
Davon weiß auch Claudia Nommensen auf der kleinen Nachbarhallig Oland zu berichten. Damals stand das Wasser hüfthoch auf der Warft und der Weihnachtsbaum schwamm durchs Kirchenschiff wie ein Stück Treibholz. Auch im Winter fährt sie mit ihrer Lore rüber zum Festland und holt Vorräte und alles Lebensnotwendige auf die Warft. Kurz vor Weihnachten hat sie Tannenbäume geladen, sechs insgesamt - für sich und die Nachbarn, und macht sich bei eisigem Ostwind auf den Weg mitten durchs Watt.
Von | Veit Bentlage |