Architektur, Deutschland 2018
Es ist immer wieder ein ganz besonderer Moment, wenn Andreas Ketzel am Abend Licht ins dunkle Göltzschtal bringt. In der Winterzeit lässt er das Wahrzeichen des Vogtlands im hellen Lichterschein erstrahlen. Die Göltzschtalbrücke zieht bis heute die Menschen in ihren Bann.
1851 eingeweiht, ist sie nach wie vor die größte Ziegelsteinbrücke der Welt. 26 Millionen Ziegelsteine wurden damals hier vor Ort gebrannt und verbaut. Viele fragen sich bis heute: Wie konnte dieses Wunder gelingen?
Andreas Ketzel gibt gern Auskunft, denn so nah wie er lebt niemand an der Göltzschtalbrücke. "Das Wunder vom der Göltzschtal" hat sein eigenes Leben - und das seiner Familie seit Generationen geprägt. Direkt am Fuße der gigantischen Brücke, in "Ketzels Mühle" können sich Besucher heute ein wenig stärken. Schon der Ururgroßvater von Andreas Ketzel serviert hier Getränke und kleine Snacks - damals im Jahr 1846, als für die Eisenbahnlinie zwischen Leipzig und Fürth die größte Lücke geschlossen werden soll. Das Göltzschtal soll von einer 578 Meter langen und 78 Meter hohen Brücke überspannt werden - eine riesige Baustelle entsteht. Damals eine Sensation! Was hier geschieht, nennen viele das achte Weltwunder. Nicht nur mehr als 1.000 Bauleute arbeiten hier täglich - auch Schaulustige lassen sich dieses Spektakel damals nicht entgehen.
150.000 Ziegelsteine werden pro Tag verbaut. Auf Eisenbahnwaggons und Pferdewagen wird unaufhörlich Nachschub angekarrt. Unterhalb der Brücke stehen riesige Mischstationen, in denen Arbeiter - nur mit Schaufeln ausgerüstet - gigantische Massen von Mörtel anrühren. Die Rezeptur dieses Mörtels stammt von einem Apotheker aus Leipzig. Und kaum 13 Kilometer weiter in Jocketa entsteht damals noch ein Gigant, die bis heute zweitgrößte Ziegelsteinbrücke der Welt. Die kleine Schwester der Göltzschtalbrücke überspannt das Elstertal. Im Moment wird hier gebaut. Die Schienen bekommen ein neues Bett und das Gemäuer wird ausgebessert. Für viele Bauleute vor Ort ist es ein ganz besonderes Abenteuer. Einige waren schon bei der Sanierung der Göltzschtalbrücke dabei. Sie sind tief beeindruckt und es ist für sie wirklich ein Wunder wie damals ohne große Maschinen ein derart monumentales Bauwerk aus 12 Millionen Ziegelsteinen entstehen konnte. So wie die große Schwester an der Göltzsch hält auch die Elstertalbrücke heutigen Anforderungen stand.
Nach nun 170 Jahren sind beide Brücken nach wie vor wichtige Wahrzeichen des Vogtlands. An der TU Dresden ist das in Vorlesungen und Seminaren immer wieder Thema für künftige Bauingenieure. Im Jahre 2009 wurde die Göltzschtalbrücke von der Bundesingenieurkammer in die Liste der Ingenieurbaukunst aufgenommen. Es ist und bleibt ein ganz besonderer Ort, für Besucher genauso, wie für die Menschen die hier leben und arbeiten.
Von | Stephan Heise |