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Mo, 18.11.
2351 – 0021

3sat

Schlauer als der Rest der Welt
Hochbegabte im Alltag

Reportage, Deutschland 2022

Überflieger, Ausnahmetalent, Genie, aber auch Schulabbrecher und Einzelgänger: Als hochbegabt gilt, wer einen IQ über 130 hat, also weit über dem Durchschnitt (100) intellektuell begabt ist. Hochbegabte können jeden Kontakt zur Außenwelt abbrechen, sie können aber auch mit 14 Jahren Abitur machen und den Nobelpreis gewinnen - mit dem gleichen IQ! Diese besonderen Menschen haben in Beruf und Alltag mit Vorurteilen zu kämpfen. Bestimmt und gemessen wird Hochbegabung mittels eines Intelligenztests. Hochbegabte haben einen Hochleistungsmotor im Gehirn. Ob der mit angezogener Handbremse in der Garage steht oder auf einer freien Rennstrecke so schnell fährt, wie er kann, entscheidet die Förderung. Oft kommen die Schwierigkeiten nach der Einschulung: Hochbegabte sind anders als 98 Prozent ihrer Mitschüler. Das grenzt sie manchmal aus und kann sie zu Schulverweigerern werden lassen. Nach wie vor hält sich das Vorurteil hartnäckig, dass Hochbegabung automatisch zu guter Leistung führt. In der Schule fehlt Hochbegabten oft die Motivation, gute Noten zu schreiben. Das zieht sich durchs spätere Leben. Rüdiger Gamm hat am 29. August 2021 im "ZDF-Fernsehgarten" einen Weltrekord aufgestellt: Unter Wasser musste er "Potenz-hoch-5-Aufgaben" rechnen. Er hat es geschafft! Was gibt 87 hoch 12? Für Rüdiger Gamm kein Problem. Binnen Sekunden nennt er die Antwort, eine 24-stellige Zahl. Einen Taschenrechner benötigt er dafür nicht. Nur seinen Kopf. Mit diesem Talent wurde er deutschlandweit bekannt. Der Welzheimer tingelte durch die Lande und löste überall Matheaufgaben - in Discos oder bei Straßenfesten. Gamm wurde 2013 zu "Deutschlands Superhirn" gekürt. Dass Rüdiger Gamm einmal ein Rechengenie werden würde, war jedoch lange Zeit unvorstellbar. Während der Schulzeit war Mathematik sein Problemfach. Sechsmal musste er wegen seiner schlechten Noten die Schule wechseln. Pia Beyer-Wunsch, alleinerziehende Mutter einer elfjährigen Tochter, ebenfalls hochbegabt, weiß erst seit acht Jahren von ihrer Hochbegabung. Laut Ärzten hat sie sich aus Eigeninteresse medizinisches, theoretisches und praktisches Wissen angeeignet auf Stand eines fortgeschrittenen Medizinstudenten. Pia fehlte aber der Mut, wirklich Medizin zu studieren. Ihre Pläne hatten selten Bestand, sagt sie. Aktuell promoviert sie im Fach Medizinische Informatik. Sie fand Doktorväter, die um ihre Besonderheiten wissen, sie fördern und ihr helfen, durch Struktur zum Ziel zu kommen, dem Doktortitel. Thorsten Heitzmann ist schlauer als 99,9 Prozent der Weltbevölkerung. Er ist Chef der weltweiten "Triple Nine Society". Der wesentlich bekanntere Verein "Mensa e.V." ist die größte und bekannteste Hochbegabtenvereinigung mit Mitgliedern, die intelligenter sind als 98 Prozent der Bevölkerung (IQ von mindestens 130). Die "Triple Nine Society" ist wesentlich selektiver: Sie nimmt nur Menschen auf, die intelligenter sind als 99,9 Prozent der allgemeinen Bevölkerung (IQ von mindestens 146). Thorsten Heitzmann ist Mediziner, hatte nie das Durchhaltevermögen, seine Doktorarbeit zu schreiben und arbeitet als Mädchen für alles in der Augenarztpraxis seiner Frau. Heitzmann ist 52 und hat einen Abischnitt von 3,1. Er arbeitet am liebsten ehrenamtlich. Sein wichtigstes Ziel im Leben: glücklich zu sein. "37°" begleitet drei Hochbegabte, von denen keiner besondere Höchstleistungen vollbringt. Ihr größtes Ziel ist es, im Alltag und mit den Mitmenschen zurechtzukommen. Sie möchten ein "normales" Leben führen, obwohl sie selbst außergewöhnlich sind. Die hohe Intelligenz erleichtert ihnen nicht das Leben, im Gegenteil, sie kämpfen und hadern damit im Alltag. Die "37°"-Reportage gibt Einblicke in das Leben und Denken von zwei Prozent der Menschheit, stellt verbreitete Klischees auf den Prüfstand und wirft sie über den Haufen.

Personen

Von Antje Diller-Wolff