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Do, 07.11.
2300 – 2350

3sat

Eine Gesellschaft ohne Kinder

Dokumentation

Die Geburtenraten der Industrienationen sinken dramatisch. Die Angst vor einer drohenden Überbevölkerung ist der Sorge vor einer schrumpfenden Bevölkerung gewichen. Nirgendwo werden so wenige Kinder geboren wie in Europa. Kein einziges europäisches Land kann aus "eigener Kraft" seine Bevölkerungszahl stabil halten. Auch nicht Deutschland und Österreich. Wo liegen die Gründe dafür? Und was sind Folgen für unsere Gesellschaft? Europa steht vor gravierenden demografischen Veränderungen, die Bevölkerung schrumpft. Der wichtigste Motor für Fortschritt, Wirtschaftswachstum, Arbeit wird knapp: Der Mensch. Die Geburtenrate liegt in Deutschland bei 1,5 Kindern pro Frau, in Österreich mit 1,4 sogar darunter und der negative Trend hält an. Seit 1965 ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau weltweit von etwa sechs auf zwei bis drei gesunken. Wenn man genauer hinsieht, zeigt sich in der Europäischen Union: Frauen und Männer mit geringer Bildung und auch geringem Einkommen haben in der Regel etwas mehr Kinder, diese Bevölkerungsschicht verzeichnet den höchsten Anteil an ungeplanten Geburten. Die Mittelschicht kämpft am meisten, alles unter einen Hut zu bringen und setzt deshalb aus. Da sie aber den größten Bevölkerungsanteil ausmacht, schlägt sich das deutlich nieder. In Afrika geht der Trend in die umgekehrte Richtung: Die Bevölkerung wird sich absehbar zumindest verdoppeln, wenn nicht sogar verdreifachen. Im Niger soll in diesem Jahr jede Frau im Durchschnitt 6,7 Kinder bekommen. Damit würde das Land die höchste Fertilitätsrate weltweit aufweisen. Der Negativtrend in den westlichen Industriestaaten hat einen weiteren Grund: Frauen bekommen viel später Kinder als noch vor einigen Jahrzehnten. "Bei uns hat sich ein Muster etabliert: Man will zuerst die Ausbildung abschließen und sich dann im Beruf etablieren. Und erst wenn man finanziell abgesichert ist, denkt man an Familiengründung und das ist eben später und später, weil auch die Ausbildung länger und länger dauert", erklärt Demograf Wolfgang Lutz. Das Durchschnittsalter österreichischer Frauen bei der Geburt des ersten Kindes liegt derzeit bei 31,5 Jahren - und ist damit um rund fünf Jahre höher als noch vor 30 Jahren. Immer mehr Menschen bekommen immer später Kinder - oder eben gar nicht mehr. "Die Vorteile des Kinderkriegens sind ja relativ überschaubar in einer Zeit, wo Zeit und Geld wichtig sind und den Takt angeben. Kinder kosten viel Zeit. Kinder kosten viel Geld, Kinder schränken dich ein", meint Schriftstellerin Gertraud Klemm. Auch die Urbanisierung spielt eine Rolle. In kleineren Wohnungen und Häusern ist der Platz begrenzt. Deshalb beschränken sich viele Familien auf ein oder zwei Kinder. Die Politik wäre gefordert. So will der Gesetzgeber zwar, dass Frauen mehr Kinder bekommen, ermöglicht aber keine Vorsorge im Bereich der reproduktiven Gesundheit. Das Einfrieren der Eizellen in Österreich ist nur unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen möglich und alleinstehende Frauen können sich ihren Kinderwunsch derzeit nur im Ausland erfüllen - eine künstliche Befruchtung ist für sie weiterhin nicht erlaubt. Regisseurin Heidi Neuburger-Dumancic begibt sich auf eine Spurensuche nach den Gründen des internationalen Phänomens der Kinderlosigkeit, besucht dazu Geburtsstationen und lässt Expertinnen und Experten und Familien zu Wort kommen.

Personen

Von Heidi Neuburger-Dumancic